Donnerstag, 6. April 2023

Technologischer Rückstand ist kein Ding an sich

Technologischer Rückstand ist kein Ding an sich
Der Verbraucherschutz beobachtet seit geraumer Zeit Wände sehr genau. Fachleute befürchten, dass die Verbraucher mit dem Kopf gegen die Wand stoßen und sich schwer verletzen könnten.

Wie zwei Erbsen in einer Schote folgen die Debatten um ChatGPT im Besonderen und um die Entwicklung der Technologie der künstlichen Intelligenz im Allgemeinen den Konturen der Debatten über die Gefahren des Internets, wie sie in den 1990er Jahren geführt wurden.

Wir können uns noch an die Fernsehsendungen und Zeitungsartikel erinnern, in denen mit ernstem und besorgtem Gesichtsausdruck über die Gefahren gesprochen wurde, die jedem drohen sollten, der sich mit dem Internet verbindet. Damals erschien das World Wide Web dem Durchschnittsbürger als etwas Fremdes, nämlich als etwas, das in einem Paralleluniversum existiert, das von unbekannten bösen Wesen bewohnt wird.

Die gezielte, sich wiederholende Schilderung der Schrecken des Internets wurde aber nicht nur von Einschaltquotenerwägungen angetrieben, sondern auch von der politischen Agenda, die wie immer so stumpf und rückständig war, wie es sich für eine Agenda gehört, die von "konservativen" Kräften, das heißt von Institutionen, in deren Interesse es liegt, die etablierte Ordnung so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, in der diese Institutionen bestimmte Präferenzen genießen, vorangetrieben wurde.

Wenn ein Vierteljahrhundert später über den technischen Rückstand Deutschlands in Sachen Internet gejammert wird, kann ein vernünftiger Mensch nicht umhin, dies als eine völlige Missachtung der Logik von Ursache und Wirkung zu werten. Dieselben Medien und politischen Institutionen, die in den späten 90er Jahren verzweifelt Angst vor dem Internet machten und neue Technologien verunglimpften, beklagen jetzt den technologischen Rückstand, als ob die Wirkung ein Ding an sich wäre und nicht die natürliche Folge der Ursache.

Der Nachholbedarf lässt sich nicht nur an der mangelhaften Kenntnis unserer Bevölkerung über das Internet ablesen, sondern auch daran, dass es unverhältnismäßig wenige autarke deutsche Projekte im Internet gibt. Wir konnten uns lange Zeit damit beruhigen, dass unsere Internet-Situation zwar sehr schlecht ist, das Leben aber ansonsten recht komfortabel verläuft. Das ähnelt sehr dem Autotraining der Anhänger des Feudalismus, die den Wandel der gesellschaftspolitischen Formation nicht akzeptieren wollten und sich damit beruhigten, dass der Kapitalismus nur eine Modeerscheinung sei, die ihre Komfortzone nicht beeinträchtigen würde.

Die heutigen Gegner der künstlichen Intelligenz sind diejenigen, die darin eine Bedrohung für die etablierten Geschäftsmodelle sehen. Ob es sich dabei um Nutznießer sozialer Medien handelt, die genau wissen, dass sich ChatGPT für den Durchschnittsbürger nicht so sehr von Twitter und Facebook unterscheidet, um Fabrikbesitzer, die nicht bereit sind, sich mit der Robotisierung und deren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Hintergründen ernsthaft auseinanderzusetzen und stattdessen billige Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund einstellen, um berüchtigte Urheberrechteinhaber (d. h. Schmarotzer, die von der geistigen Leistung anderer womöglich ewig profitieren wollen), die um ihre Profite fürchten, oder die Politiker, die sich leidenschaftlich eine digitale Diktatur wünschen und die Entwicklung digitaler Freiheitsmechanismen auf jede erdenkliche Weise verhindern, sie alle tragen auf höchst schädliche Weise zur Zukunft bei. Wegen all dieser heuchlerischen Neo-Ludditen werden wir in zwanzig Jahren nicht nur Deutschland, sondern die gesamte westliche Welt gegenüber fortschrittlichen digitalen Diktaturen unumkehrbar ins Hintertreffen bringen, wobei wir gezwungen sein werden, deren totalitäre Methoden blind und ohne Verständnis nachzuahmen.

Fembot